Muttergefühl (Lisa)

Es ist ein Glück, wenn ich die eigenen Kinder in fremder Leuts Obhut beobachten darf.

Die Kinder bewegen sich, sind kreativ, entdecken, überlegen, hüpfen, reagieren.

Ich schaue ohne die übliche Verantwortung, die sonst den Außenblick verhindert. Ermöglicht durch äußere Hilfe, den Babysitter, die Tagesmutter, die Kindergärtnerin oder die Oma.

Durch derlei Unterstützung kann ich zum unbeteiligten Beobachter werden.

Zum staunenden und stolzen.

Ich bemerke jeden kleinsten Fortschritt, selbst wenn er nur die Mimik betrifft, ich sehe jede logische Schlussfolgerung, die die kleinen Geister bereits ziehen. Ich ahne jeden Gedankengang und lasse mich überraschen von diesem unbefleckten Umgang mit den Dingen.

Alles ist neu,

jedes Geräusch,

jedes Gefühl

und die Kinder lassen ihrer Begeisterung freien Lauf.

Indem sie jauchzen,

indem sie lächeln,

indem sie mich Stolz erheischend anschauen und Anerkennung verlangen.

Das Herz geht der Mutter dann über, heißt es so schön und platt. Dabei ist das Gefühl viel größer, als dass es sich auf nur ein einziges Körperteil beschränken könnte. Es krabbelt wohlig kitzelnd durch jede meiner Poren,

von der Zehenspitze hoch in die Kniekehle,

durch die Hüftgelenke bis zu den Ellbogen,

in die Fingerspitzen und weiter hoch durch den Brustkorb,

am Kehlkopf vorbei in die Nasenspitze und ins Gehirn.

Dort führt es zu chemischen Reaktionen, zur Ausschüttung von Hormonen, die Mutters Körper und Seele fortan gleichermaßen mit Wärme fluten. Möglich sind diese Reaktionen ebenfalls in in kaum beachteten Alltagssituationen. Etwa, wenn ein Kind aus einem tiefen Schlaf erwacht.

Es ruft nach mir,

ich nehme es hoch,

der kleine Körper ist noch ganz warm,

jedes Glied noch schwach und ohne muskuläre Tätigkeit.

Aus dem Mündchen wabert gegorener Milchgeruch, vom Kopf der Babyschweiß, der meine Naseninnenwände sanft bedeckt wie Salbe den Babypopo. Schutzsuchend schmiegt sich mein Kind warm und weich an meinen Oberkörper, es legt die Arme um mich und den Kopf auf mein knöchernes Schlüsselbein. Seine Augen sind noch halb geschlossen und der Moment der Innigkeit wird nur ganz allmählich aufgelöst, in Zeitlupe. Nach und nach kehrt das Leben zurück in die kindlichen Gliedmaßen, es fließt mit dem selben Strom zu ihm, der auch meinen Mutterkörper wieder wohlig kribbeln lässt. Das Leben schwappt über.

Solche Momente packe ich dann ein wie ein Geschenk. Ich falte gleichlange Seiten, raffe sie zu einem Quadrat zusammen, forme Außenwände, damit keine Minute entfliehen kann, lege einen Deckel über die wunderschöne Situation, damit sie nicht verloren geht, falte Geschenkpapier darum und binde vorsichtshalber auch noch ein Schleifchen darüber. Erst dann stelle ich den Karton meiner Erinnerungen an einem sicheren Ort ab, den nur ich kenne und den ich wiederfinde in ein paar Jahren. Hoffentlich.

Über nusenblaten

Es geht um eine Mutter, einen Vater und ihre drei Kinder. Erst im Kinder-Mekka Prenzlauer Berg, nun mitten auf dem Land mit Ziegen und Fernweh. Es geht um die großen und kleinen Themen der Elternschaft. Der abwechselnde Blick von Mutter und Vater sorgt für teils überraschende, teils lustige Einblicke in die Welt zweier berufstätiger Eltern mit drei Kindern, die in nur zwei Jahren geboren wurden.
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5 Antworten zu Muttergefühl (Lisa)

  1. Oma Mecki schreibt:

    Lisa, ich bin davon überzeugt, dass solche Wahrnehmungen und Gefühlsäußerungen nur
    von einer M U T T E R möglich sind!!!

  2. Jaegerin schreibt:

    Jetzt hast du es geschafft. ich habe gerade geheult.

  3. Rike schreibt:

    So isses! Das sind die ganz großen Momente! Die sind nicht zu imitieren. Du hast sie ganz wunderbar festgehalten. Große Schreiberin!

  4. Christina schreibt:

    Genau so und nicht anders. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich und die ganze Mühe wert 🙂 Danke Lisa dass Du diesen Moment so schön festgehalten hast!

  5. Pingback: Zwei Jahre Zwillinge (Lisa) « Nusenblaten

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